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Deutschland ist keine Hegemonialmacht

Foto: Abir Anwar | Lizenz cc 2.0
Foto: Abir Anwar | Lizenz cc 2.0

In Anbetracht einer eher unruhigen politischen Weltlage hat seit geraumer Zeit wieder eine intensivere Debatte um und über die deutsche Außenpolitik eingesetzt. Der Berliner Historiker Dr. Lars Lüdicke (Schwerpunkte Neueste und Zeitgeschichte) greift in einem Beitrag für die Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (APuZ, die Beilage von „Das Parlament“) einen Artikel von Josef Joffe in der Zeit auf. Joffe bedient sich darin der Politik Bismarcks, um den außenpolitischen Kurs der Bundeskanzlerin zu kritisieren. Lüdecke diskutiert in seinem Beitrag „Bismarck und Merkel. Chancen und Grenzen historischer Vergleiche an einem aktuellen Beispiel“ diese These. Das wiederum hat mich veranlasst, die Argumentation von Historiker Lüdecke etwas genauer zu analysieren. 

Lüdicke sieht in der außenpolitische Strategie Bismarcks den Versuch, in Europa im Wege der Gleichgewichtspolitik der Gefahr einer Koalition der anderen Mächte (Russland, Italien, Frankreich, Großbritannien) gegen Deutschland zu begegnen – eine Politik, die angesichts des französischen außenpolitischen Zieles nach Beseitigung seiner internationalen Isolierung und Revision des Friedens von Versailles vom Januar 1871 zwingend wurde.

Es ist daran zu erinnern, dass Preußen den siegreichen Krieg gegen Frankreich zur Gründung des Reiches in Versailles nutzte, und dass Deutschland, dass Bismarck größten Wert darauf legte, Frankreich als Republik in einem ansonsten vom monarchischen Prinzip geprägten Europa wegen mangelnder monarchischer Ebenbürtigkeit zu isolieren; als Republik war Frankreich gleichsam unter Monarchien nicht satisfaktionsfähig. Deutschland hat mit dem Friedensschluss und der Förderung der Republik als Staatsform für Frankreich die Gefahr einer Allianz gegen Deutschland unter Führung bzw. auf Betreiben von Frankreich selbst heraufbeschworen.

Metternich hat nach den napoleonischen Kriegen mit dem Wiener Friedensschluss von 1815 das besiegte Frankreich als Monarchie mit einem anerkannten Königshaus – anders als Napoleon, der ein selbsternannter „erblicher Kaiser“ war – bestätigt: Damit war das geschlagene Frankreich weiterhin am Tisch der fünf Großmächte in Europa und besaß Ebenbürtigkeit.

Henry Kissinger hat über dieses Thema promoviert und preist seither Metternich als den Konstrukteur einer langen Friedenszeit in Europa.

Die spätere politisch-ideologische Spaltung zwischen den aufgeklärten und den autokratisch regierten Monarchen in Europa – Großbritannien und Frankreich einerseits und das Dreikaiser-Bündnis Österreich, Russland, Preußen/Deutschland andererseits – vollzog sich im Zuge offener politischer Entwicklungen, nicht auf der Grundlage eines diskriminierenden Friedensvertrages zwischen zwei Mächten in Europa. Der deutsche Botschafter in Paris, Harry Arnim, plädierte aus den eben genannten Gründen – Ebenbürtigkeit der fünf europäischen Großmächte – für die Bildung einer französischen Monarchie mit einer anerkannten Königsfamilie, den Bourbonen. Er wurde deswegen von Bismarck in den einstweiligen Ruhestand geschickt. Damit wurde das Instrument der einstweiligen Versetzung in den Ruhestand eingeführt, von dem seit dem in internationalen Angelegenheiten Gebrauch gemacht wird, wenn dies aus Gründen der Außenpolitik zweckmäßig erscheint.

Deutschland hätte sein wirtschaftliches, politisches, wissenschaftliches und kulturelles Potenzial, das seine Wurzeln in den freien Reichsstädten sowie den Hansestädten und den unabhängigen Universitäten hatte – ohne Herbeiführung einer machtpolitischen Halb-Hegemonie entwickeln können. Dies hat Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg in Verbindung mit dem Ost-West-Gegensatz zwischen den USA und der Sowjetunion über die Zukunft Europas tun können. Mit der Bildung der Europäischen Gemeinschaft (Union) und des Nordatlantischen Bündnisses (NATO) ist das Risiko machtpolitischer Rivalitäten in dem so befriedeten Europa gebannt.

Heute stellt sich eigentlich die Frage der Hegemonie nicht, da wir in einer europäischen Friedensordnung in Form der Europäischen Union leben, die allenfalls einen virtuellen deutschen Hegemonialcharakter entstehen lassen könnte, wenn sich Deutschland zum Zahlmeister eines defizitären Europas würde hinreißen lassen (Münkler-Vorschlag). Das bleibt zum Glück Chimäre, weil ein solches Unterfangen auch zur deutschen Verschuldung und Abnahme der Produktivität Deutschlands führen würde und daher nicht Deutschlands Interessen entspricht. Deutschland ist ein Schlüsselland in Europa, aber keine Hegemonialmacht. Für diese Schlüsselrolle ist die Weiterentwicklung des ökonomischen und stabilen sozialen Potenzials unverzichtbar – ebenso der Umgang mit den anderen Mitgliedstaaten der Union auf Augenhöhe. Das Zusammenwirken im Europäischen Rat wird durch bilaterale Beziehungen ergänzt, die sich auf alle Lebensbereiche der Mitgliedstaaten erstrecken und besonders stark im nichtstaatlichen Bereich wirtschaftlicher, kultureller und gesellschaftlichen Aktivitäten entwickelt worden sind.

Deutschland hat eine überragende wirtschaftliche Position auf dem Weltmarkt und stellt in Europa das Land mit der größten Attraktivität als Markt für die Produkte anderer europäischer Länder dar – wie auch umgekehrt Europa ein bedeutender Markt für Deutschland ist. Deutschland darf sich nicht anstelle schwacher europäischer Institutionen zum Vollstrecker gemeinsamer europäischer Integrationsbeschlüsse machen lassen. Werden gemeinsame Integrationsbeschlüsse nicht durchgesetzt, dann müssen diese Beschlüsse aufgehoben werden.

Hegemonialmacht zu sein oder einen solchen Status anzustreben, setzt die Bereitschaft, den Willen und die Fähigkeit voraus, anderen Mächten – global oder regional – den eigenen Willen oktroyieren zu wollen und zu können und diesen Willen gegebenenfalls mit Gewalt durchzusetzen. Ein solches Ziel strebt das heutige Russland gegenüber den früheren Sowjetrepubliken an (EURASIAEN UNION). Die USA besitzen die Fähigkeit, in jedem Teil der Erde militärisch erfolgreich zu intervenieren. Zu welchen politischen und wirtschaftlichen Kosten das geschieht, ist eine andere Frage – siehe Irak-Intervention 2003. Im Anschluss an einen militärischen Sieg muss im Falle hegemonialer Ziele das unterworfene Gebiet/Land in den Herrschaftsraum der Hegemonialmacht integriert werden – sonst wird es zum Ausgangspunkt der Gegenmacht. Die USA sind von einer solchen Fähigkeit zur Globalen Hegemonialmacht weit entfernt – ganz zu schweigen davon, dass sie sie diese Stellung nicht anstreben. Das Militärpotenzial der USA soll die Bildung von Allianzen verhindern, die zusammen genommen stärker als die USA sind.

Das Römische Reich scheiterte als Hegemonialmacht in Germanien und wurde von Völkerwanderungen aus Gebieten jenseits des römischen Reiches in die Knie gezwungen.

Unter Nuklearmächten ist ein Krieg mit dem Ziel der Errichtung einer Hegemonie illusorisch. Die Kosten sind zu hoch (Untergang in einem Nuklearkrieg).

In der Europäischen Union ist Deutschland der größte Mitgliedstaat nach Bevölkerung und Wirtschaftskraft. Es ist keine Hegemonialmacht. In der Regel können gemeinsame Beschlüsse, die ja aus Kompromissen hervorgehen, nur mit Deutschland erreicht werden. Das gibt der deutschen Hand einen großen Aktionsraum. Bei der Gestaltung des EURO und der Europäischen Zentralbank (EZB) wurde die Konstruktion der Bundesbank übernommen, die allein die Aufgabe hat – und dabei nicht weisungsgebunden ist – die Stabilität der Währung zu garantieren. Die EZB beruft sich heute auf ihre Unabhängigkeit; dokumentiert durch den Beschluss, mit den Mitteln der EZB auch eine Stabilisierungspolitik für Banken in der Euro-Zone betreiben zu können. Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof gegen diese Interpretation sind gescheitert.

Die Euro-Zone hat die Unabhängigkeit der Zentralbank übernommen, obschon kein anderes Land in Europa die Unabhängigkeit der Zentralbank im eigenen System kennt. Der Euro ist mit einer unabhängigen Zentralbank nach dem Vorbild der Bundesbank gegründet worden. Aber die anderen Euro-Staaten haben keine Änderung ihrer auf Defizitfinanzierung gestützten Finanz- und Wirtschaftspolitik vorgenommen, sich also nicht dem deutsche Model anpassen wollen und können. Daher befindet sich der EURO-Raum in einer politischen Krise. Das deutsche Drängen auf die Umsetzung der gemeinsam getroffenen Beschlüsse ist nicht Ausdruck einer Hegemonie, sondern Ausdruck der gemeinsam getroffenen Beschlüsse über die Struktur des EURO-Raumes.

Deutschland hat der Preisgabe der D-Mark nur unter dieser Bedingung zugestimmt: Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank mit der Aufgabe, die Stabilität der Währung zu gewährleisten. Nur wenige Länder in Europa teilen diese Tradition. Die auf Staatsverschuldung beruhende Finanz- und Wirtschaftspolitik anderer EURO-Länder ist mit den Prinzipien, die vereinbart wurden, unvereinbar. Aber dieser innere Widerspruch wurde bei der Bildung des Euro-Raums vernachlässigt bzw. verdrängt. Die Reform des gegenwärtigen System im Wege nationaler EUROS (Deutscher Euro, Französischer Euro, Italienischer Euro etc.) wäre ein Ausweg, der sich dann nach der Finanz- und Wirtschaftspolitik des jeweiligen Landes entwickeln kann. Es könnte einen Verbund der nationalen EURO-Währungen geben, wie das schon früher der Fall gewesen ist. Wer hat die politische Kraft, dieser Realität den Weg zu ebnen? Wahrscheinlich bedarf es einer ungeplanten Krise, um die Regierungen mit dieser Notwendigkeit zu konfrontieren.

Die deutsche Position in dieser Frage hat mit Hegemonie nichts zu tun.

Griechenland ist im Euro gehalten worden, weil keine Regierung bereit war, die EU und den Euro-Raum in eine Existenzkrise stürzen zu lassen. Anders sieht die Situation bei einem Wahlsieg des Front National unter Madame Le Pen aus. Wird sie Präsidentin, dann wird ein Austritt Frankreichs aus dem EURO wahrscheinlich.

Ich fasse zusammen:

Deutschland ist eine Schlüsselmacht in Europa – aber keine Hegemonialmacht. Deutschland muss sich – dem Wesen der Europäischen Union entsprechend – um tragfähige Kompromisse bemühen. Weitere Integrationsschritte über den jetzigen „acquit européen“ hinaus sind angesichts der Erweiterung der Mitgliederzahl praktisch ausgeschlossen. Es kommt nun auf Vereinbarungen zwischen einzelnen Mitgliedstaaten an, die letztlich für andere Mitgliedstaaten attraktiv werden können wie z.B. das Schengen-Visa-Abkommen.

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