Public Affairs-Beratung braucht Verantwortungsethik
Public Affairs-Beratung nimmt nicht Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozess im Sinne einer Einbahnstrasse. Dieser Eindruck wird mitunter vermittelt und findet ansatzweise im Begriff „Lobbyismus“ seinen Niederschlag. Der demokratische Entscheidungsprozess ist viel komplexer und wird von einer großen Anzahl unterschiedlicher Akteur:innen begleitet. Die gewählten Mandatsträger:innen fallen hier natürlich an erster Stelle auf. Sie bestimmen maßgeblich die Gesetzgebung und sind oft Teil der Exekutive. Über dreißig Jahre nach einer wirklich politischen Zeitenwende in Europa – und weltweit – sehen wir uns als nationale Gesellschaften, aber auch im Sinne einer menschlichen Weltgemeinschaft aktuell Herausforderungen gegenüber, die ein generelles Hinterfragen von Selbstverständlichkeiten hervorrufen müssen. Beratung sollte immer auf Augenhöhe stattfinden. Zwar haben Auftraggeber u.U. das letzte Wort, aber der aktive Beratungsprozess ist eine eigenständige kreative Leistung und das macht die Straße auf jeden Fall zur Fahrbahn mit zwei Richtungen.
Wechselwirkungen von Politik und Beratung
Und damit zurück zum Ausgangsgedanken: Welche Wechselwirkungen erzeugt eigentlich die politische Beratung? Welche Verantwortung muss auch die Public Affairs-Beratung übernehmen, wenn Schlagworte wie Krieg, Klimawandel, Pflegenotstand, Dürreperioden u.v.m. die Alltagsschlagzeilen bestimmen? Reicht der Selbstverpflichtungskompass hin zu mehr Transparenz, ethisch allgemein akzeptierten Werten und einer politischen Neutralität noch aus? Diese Fragen treiben mich seit einiger Zeit mit Blick auf meine Arbeit in der politischen Kommunikation um. Die Beantwortung dieser Fragen kann zu Ergebnissen führen, die einem mitunter nicht auf Anhieb gefallen. Ein Beispiel aus dem Agrarsektor: Lebensmittel werden heutzutage global gehandelt und Preise an sog. Spot- und Terminmärkten festgelegt, die von der lokalen Produktion Lichtjahre entfernt sind. Ein international agierender Agrarkonzern beschäftigt viele Public Affairs-Berater:innen inkl. externe Dienstleister, die dafür sogen sollen, dass möglichst viele Agrarerzeugnisse z.B. in Deutschland auf „Weltmarktniveau“ produziert werden. Jetzt haben aber Länder – je nach Weltregion, politischem System, technischen Entwicklungen etc. – unterschiedliche Voraussetzungen, die Anforderungen des Weltmarktes zu erfüllen.
Das Beispiel ist deshalb gewählt, weil die Lebensmittelproduktion unmittelbar mit der aktuell größten mittel- und langfristigen Bedrohung der Menschheit eng in Verbindung steht: Der Klimakrise oder auch Klimawandel genannt. Auch die noch so moderne Landwirtschaft ist auf fruchtbare Böden und Wasser angewiesen, sonst wächst schlicht nichts. Hier sind Extremwetterereignisse mit ihren oft verheerenden Auswirkungen noch gar nicht gedanklich berücksichtigt. Die Kette lässt sich fortsetzen: Niedrige Preise = mehr Produktion (Einkommenskompensation) = mehr Dünger (+“Pflanzenschutz“) = mehr Energie (fossil) = mehr Treibhausgasemissionen etc. Jede:r sieht rasch, welche Implikationen eine zunächst auftragserfüllende politische Beratung hat: Politische Rahmenbedingungen zu schaffen, damit z.B. auch in Deutschland für einen vermeintlich günstigen Weltmarktpreis produziert werden kann.
Das Beispiel lässt sich leicht auf andere Bereiche übertragen. Schauen wir aktuell in den Energie-Sektor. Die Energiewende, die vor über zwanzig Jahren bei uns mit dem ersten Erneuerbaren Energiengesetz (EEG) eingeleitet wurde, lässt weiter auf sich warten. Fossile und atomare Energieträger wurde mit viel politischen Aufwand günstig gehalten. Die erste größere internationale Krise zwingt diese Konstellation jetzt in die Knie. Corona hat schon zwei Jahre früher gezeigt, was es bedeutet, z.B. verschiedene medizinische Versorgungsgüter und pharmazeutische Wirkstoffe nur von außerhalb Europas zu beziehen.
Eine globale Verantwortungsethik – bloß eine Utopie?
Vielleicht ist es eine Utopie. Aber eine globale Verantwortungsethik bei der alle Spieler:innen die Notwendigkeit sehen, unmittelbar eigene Interessen hinter die übergeordneten Interessen eines Schutzes einmaliger, planetarer Ressourcen zu stellen, wäre erstrebenswert. Die Public Affairs-Beratung als sekundär werteschaffende Dienstleitung ist damit zweifelsohne herausgefordert. Es müssten wettbewerbliche Hürden überwunden und ein wirklich übergreifendes Verständnis im Umgang mit Themen, Kunden und Politik entwickelt werden. Die Welt von ihren Grundlagen her als eins zu begreifen, ist unstreitig das Gebot der Stunde. Im Grunde bilden auch alle Menschen heute eine Weltgemeinschaft. Dass das politische kompliziert ist, zeigen die vielen, weltweiten Kriege und Konflikte. Die wirklich globalen Probleme können aber nicht auf einem Kontinent oder gar Nationalstaat gelöst werden. Es fehlt nicht an Erkenntnissen. Es fehlt an Umsetzungsinstrumenten.
Das ist der Diskussionsanstoß in diesem Artikel. Welchen Beitrag muss unsere Beratungsbranche – aber vielleicht auch darüber hinaus beispielsweise die klassische Industrieberatung – leisten, damit wieder mehr Gleichgewicht in die Dinge mit Blick auf unsere Lebensgrundlagen kommt? Antworten müssen wir weiter suchen, ums sie hoffentlich zu finden.