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Politische Haltung in der Public Affairs-Beratung

„Netzwerke aus 16 Jahren Regierung Merkel funktionieren nicht mehr“, so titelt der Spiegel letzten November mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen und die Interessenvertretung im Bundestag. Viele Lobbyist:innen, sei es aus Verbänden, Unternehmen oder eigenständige Beratungen stünden nun im Abseits, da sie sich nach fast zwei Jahrzehnten nicht mehr auf ihre Kontakte aus der Union stützen können.

Natürlich wirft so ein Regierungswechsel einiges an alter Ordnung um: Ministerien werden umorganisiert und personell neu besetzt, Positionen und Ansprechpartner:innen wechseln, Verantwortlichkeiten verschieben sich. Aber ist das wirklich ein Problem für die Lobbybranche? Wie viel ist dran an diesen Behauptungen? Darüber haben mit vier Expert:innen gesprochen und diskutiert, was für sie politische Haltung in der Public Affairs Branche bedeutet und ob es so etwas wie politisch neutrales Handeln in unserer Arbeit gibt.

Lobbyismus – eine missverstandene Branche

Maija Corinti Salvén, Co-Gründerin der de‘ge‘pol W, dem Frauennetzwerk der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung, hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Public Affairs Branche. Sie sagt, der Spiegel sitze zwei grundlegenden Missverständnissen auf. Zum einen funktioniere Lobbyismus nicht über Kontakte, sondern über Argumente, die das politische Gegenüber überzeugen müssen. „Wenn ich keine guten Inhalte habe, nützen mir meine Kontakte nichts“ so Corinti Salvén. Zum anderen beginne die politische Interessensvertretung nicht erst, wenn Koalitionsverhandlungen gerade stattfinden und eine neue Regierung bereits gewählt sei. Im besten Falle befinde man sich in einem kontinuierlichen Dialog und erörtert seine Punkte breit gestreut mit den Entscheidungsträger:innen.

Für Jens Bizan, Senior Advisor Government Affairs & Public Policy bei DATEV, fange die wirkliche Arbeit hingegen erst nach Verabschiedung des Koalitionsvertrags an. Auch er hält den medialen Fokus auf den Koalitionsvertrag für überschätzt: „Schauen wir uns den Koalitionsvertrag von der Vorgängerregierung an, da gab es kein Corona und keinen Angriffskrieg aus Russland. Wir leben mittlerweile wieder in so dynamischen Zeiten, in denen Vier – oder Fünfjahrespläne kaum etwas wert sind.“ Koalitionsverträge seien ein bisschen wie Runen entziffern. „Man wirft Hühnerknochen auf den Tisch und versucht darin zu lesen.“ Den exklusiven Zugang durch hochkarätige Kontakte – diese Lesart von Lobbyismus sei schon lange überholt.

Viel wichtiger seien in der politischen Interessenvertretung hingegen die Inhalte. Martina Westhues, Senior Expert, Public and Regulatory Affairs bei der Deutschen Telekom, hebt die Haltbarkeit von Argumenten hervor. Sie müssen sachlich und objektiv belastbar sein, ohne, dass sie kurzfristigen Unternehmensinteressen geschuldet sind: „Die Haltung und die Position muss auch nachhaltig vertretbar sein. Nur dann schaffe ich eine Vertrauensbasis bei meinem Gegenüber und nur dann bin ich auch glaubwürdig.“

Politische Neutralität oder demokratischer Kompass

Inwieweit spielt die eigene politische Haltung in die Interessenvertretung für den Arbeitgeber bzw. Kunden mit ein? Udo Sonnenberg, Gründer und Geschäftsführer von elfnullelf, meint, totale Neutralität könne es nicht geben. „Jede:r hat einen eigenen Sozialisationshintergrund, jede:r hat eine politische Meinung, sonst kann man in diesem Metier nicht arbeiten. Das ist ähnlich wie im Journalismus; es kann keine wirkliche Objektivität geben.“ Daher sei es für Maija Corinti Salvén kein Hindernis, dass man politisch nicht neutral ist. Die eigene Haltung sei vielmehr ein demokratischer Kompass: “Es ist ja logisch, dass Menschen, die in der Politikberatung arbeiten, politisch interessiert sind. Das hat den Vorteil, dass man im politischen Kontext strategisch mitdenken und auch als interkulturelles Korrektiv für den Arbeitgeber bzw. den Kunden agieren kann.“

Martina Westhues ist ähnlicher Meinung: „Die Position des Unternehmens zu einem Thema wird zuerst intern ausdiskutiert, um die Argumente zu erörtern. Eigene Grundwerte basieren ebenfalls auf einem bestimmten sachlichen Verständnis, daher kann darauf basierend auch diskutiert werden, ob die Position ggf. nicht nachhaltig für das Unternehmen ist.“

Aus Berater:innenperspektive ginge es vor allem um die argumentative Stichhaltigkeit. Eigene Einstellungen müssten manchmal hintenangestellt werden, so Udo Sonnenberg: „Wenn ein Kunde ein gutes Argument und ein ehrliches Anliegen hat und das politisch kommuniziert wissen möchte, dann muss ich [als Politikberater] meine eigene Überzeugung und ideologische Bugwelle nach hinten schieben. Unterm Strich: komplette Neutralität gibt es nicht, denn wir sind keine Roboter. Aber es ist wichtig, einen Wertekanon zu haben, der auf demokratischem Boden steht.“

Mehr Transparenz und Diversität im Bundestag – eine neue Ära?

Die Regierungsbildung fand nicht nur in großen Teilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, auch das Lobbytransparenzgesetz wurde Anfang des Jahres umgesetzt. Zum Thema Transparenz in der Interessenvertretung diskutierten wir Anfang des Jahres mit einigen neuen Abgeordneten. Können wir also von einer neuen Ära im Bundestag sprechen? Jens Bizan sieht in diesen Beobachtungen keinen Bruch, vielmehr sei der Ausschluss von externen Interessenvertreter:innen notwendig gewesen, um kompromissfähig zu bleiben. Hundertprozentige Transparenz würde Interessenvertretung nicht besser machen. „Es braucht Vertrauensräume, in denen man Ideen ventilieren und verhandeln kann und man auch mal sagen darf, dass man die Position des Gegenübers nachvollziehen kann.“

Maija Corinti Salvén sieht in der „neuen Generation Bundestag“ auch den Trend, dass soziale Medien bewusster für die politische Positionierung genutzt und insbesondere junge Frauen dadurch immer sichtbarer werden: „Hier können wir als Politikberater:innen auch Einfluss üben, indem wir Gespräche entsprechend vorbereiten und gestalten bei der Auswahl der Gesprächspartner:innen Diversität fördern.“ Public Affairs bedeute auch immer Vermittler:in zwischen den politischen Kulturen zu sein. Diese Übersetzungsfunktion lässt sich nicht nur auf verschiedene Sektoren oder Regionen anwenden, sondern ist auch intergenerationell zu verstehen.

Public Affairs soll in erster Linie das Verständnis für politische Prozesse in Unternehmen und eine offene Dialogkultur mit der Politik fördern. Als Beratungsgesellschaft ist es daher grundsätzlich von Vorteil, ein breit aufgestelltes Team zu haben, das – Parteibuch hin oder her – die Sprache jeder demokratischen Partei unabhängig ihrer politischen Couleur versteht und sie auch spricht. Am Ende ist politische Haltung weniger parteipolitisch zu verstehen, sondern bedeutet vielmehr einen demokratischen Wertekompass in unserer täglichen Arbeit mitzutragen. So können wir Kunden nachhaltig mit ihren Anliegen an die Politik unterstützen. Wir danken den Gesprächspartner:innen für den interessanten Austausch. Text und Grafik von Johanna Weirauch, Anina Schuh und Helena Ballreich.

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