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Politikgestaltung nach der Wahl – Themenfelder von elfnullelf

Deutschland hat seinen 20. Bundestag gewählt. Viele haben diese Wahl im Vorfeld als historisch bezeichnet: Kein Amtsinhaberbonus, drei Kandidaten:innen und zum Teil existenzielle Herausforderungen in vielen Politikbereichen. Bei elfnullelf beschäftigen wir uns als Schwerpunkte mit diesen Themenfeldern: Digitales, Finanzen, Gesundheit, Klimapolitik/Energie, Mobilität, Planen/Bauen sowie Verbraucherschutz u. Landwirtschaft. In diesem Beitrag wollen wir schauen, was in diesen Bereichen fortan mit Blick auf eine Regierungsbildung möglich erscheint und auf was sich unsere Kunden und potenziellen Kunden für ihre jeweiligen Geschäftsmodelle ggf. einstellen müssen. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis am 27.09.2021, 6 Uhr liegt die SPD mit 25,7 Prozent als stärkste politische Kraft vorne. Dass die SPD sich nicht an einer Regierung beteiligt, erscheint darum unwahrscheinlich. Realistischerweise gibt es zwei politische Optionen – die Weiterführung einer sogenannten Großen Koalition, wie sie bisher bestand, schließen beide Parteien aus. Diese Konstellation berücksichtigen wir nicht. Die „Ampel-Regierung“ aus SPD, Grünen und FDP und u.U. eine sogenannte „Jamaika-Regierung“ unter Führung der CDU/CSU zusammen mit Grüne und FDP werden wir uns als Modelle genauer anschauen.

Wir gehen aufgrund der skizzierten politischen Situation tendenziell von einer Ampel-Koalition aus. Was könnte das aus unserer Sicht für die o.g. Themen- bzw. Politikfelder bedeuten?

Digitalisierung

IT-Sicherheit/Datenschutz
Die Unterschiede zwischen der Ampel einerseits und Jamaika andererseits wären beim Thema Datenschutz, Datensicherheit und Cybersecurity relativ groß. Zwar ist richtig, dass alle Parteien sich dem Thema Digitalisierung in den Wahlprogrammen angenommen haben, das starke Ergebnis für Grüne und FDP zeigt aber, wie stark insbesondere die Union bei Digitalthemen abgestraft wurde. Im Gegensatz zur SPD sieht die Union IT-Sicherheit immer nachrangig zu Innerer Sicherheit, sie befürwortet Hackbacks, Quellen-TKÜs sowie staatliche Nutzung von Schwachstellen. Mit der SPD können Grüne und FDP ihre Bürgerrechtsthemen besser durchsetzen.

Verwaltungsdigitalisierung
Beim Thema eGovernment und Verwaltungsdigitalisierung sprechen quasi alle Parteien mit einer Stimme, von Linkspartei bis AfD betonen alle Parteien die Wichtigkeit von digitaler Verwaltung. Zwischen Union und SPD werden Grüne und FDP alle Ihre Ziele durchsetzen können: Die FDP etwa fordert ein Once-Only-Prinzip (Bürger sollen nur einmal ihre Daten eintragen müssen) und eine Digitaldividende (Einsparungen in Behörden sollen dort verbleiben), Grüne wollen ein Open-Data-Portal für öffentliche Daten. Das von der FDP und der Union geforderte Digitalministerium wird sich sicher auch in einer Ampel verwirklichen lassen.

Digitale Bildung
Auch beim Thema Bildung werden die Partner in Ampel und Jamaika sicherlich übereinkommen. Die CDU hat allerdings weniger konkrete Pläne als die SPD, nur eine nationale, digitale Bildungsplattform ist geplant. SPD fordert etwa eine Open-Source-Plattform für Lernmaterialien und kostenlose Endgeräte für Schüler. Grüne und FDP möchten beide mehr Kooperation von Bund und Ländern. Die Freien Demokraten möchten darüber hinaus noch innovative Konzepte wie ein Midlife-Bafög und eine Bundeszentrale für digitale Bildung. Bildung ist eines der Kernthemen der FDP, eine Umsetzung dieser und weiterer Projekte ist also nicht unwahrscheinlich.

Finanzpolitik

In der Finanzpolitik erscheint eine Jamaika-Koalition am wahrscheinlichsten. Für den Bundeshaushalt wollen sowohl Union, Grüne und FDP an der Schuldenbremse festhalten und die Schuldenquote abbauen. Die Grünen wollen darüber hinaus klimaschädliche staatliche Subvention abbauen, wozu sich sicher ein Konsens erzielen lassen wird.

Mit Blick auf den Finanzstandort Deutschland herrscht ebenfalls weitestgehend Einigkeit. Union, Grüne und FDP wollen Investitionen in Nachhaltigkeit fördern. Die Union will sogar Deutschland zum führenden Finanzstandort für nachhaltige Produkte machen. Alle drei wollen, dass Konzerne ihre Gewinne dort verteuern müssen, wo sie erzielt werden.

Den größten Dissens gibt es beim Thema Steuerreformen. Die Grünen wollen den Spitzensteuersatz ab einem Jahreseinkommen von 100.000 Euro erhöhen und plädieren für eine Vermögensteuer auf Länderebene während Union und FDP für Steuerentlastungen eintreten.

Gegen eine Ampel-Koalition sprechen gravierende Unterschiede, wie die Absage der SPD an die Schuldenbremse, die Einführung der Vermögensteuer, dass sie den Solidaritätszuschlag für hohe Einkommen erhalten will und sich gegen Steuererleichterungen ausgesprochen hat. Mit den Positionen der FDP ist dies unvereinbar.

Gesundheitspolitik

Mit dem Ausschluss einer Regierungsbeteiligung der Linken, fallen die radikalsten Forderungen nach Veränderung in der Gesundheitspolitik, wie etwa die demokratische Kontrolle der Pharmaindustrie oder eine öffentliche verwaltete Arzneimittelforschung, unter den Tisch. Ein Aussetzen des Patentrechts, wird es mit den neuen Parteienkonstellationen ebenfalls nicht geben.

Alle Parteien im Rennen unterstützen die zentralen Grundsätze der Europäischen Gesundheitsunion. Sowohl SPD als auch die CDU äußern sich für eine Stärkung der Rolle Europas und ihrer Verwaltungseinheiten im gesundheitspolitischen Bereich. Mehr Zusammenarbeit bei der Arzneimittelherstellung und ein neuer Fokus auf unabhängige europäische Lieferketten und Produktionsstätten ist sowohl in einer Jamaika- als auch einer Ampelkoalition sicher.

Bei der Arzneimittelforschung ist der Umgang mit Daten der große Hebel für Innovation. Alle Parteien wollen den Datenaustausch fördern, setzen aber unterschiedliche Schwerpunkte. Die Grünen wollen einen starken Datenschutz und eine offene Dateninfrastruktur nach Open-Data-Prinzip. Eine Ampelkoalition würde den Fokus auf eine interoperable Bereitstellung von Gesundheitsdaten für alle Akteure setzen. Jamaika würde hingegen einen verbesserten Datenzugang für bereits ressourcenstarke Akteure setzen, z.B. durch die Bereitstellung von Versorgungsdaten für Pharmakonzerne.

Klare Differenzen werden beim Thema Krankenkasse deutlich. In einer Ampel hätten SPD und Grüne die Chance sichtbare Akzente hin zu der Bürgerversicherung zu bereiten, die beide Parteien fordern. FDP und CDU halten als der Trennung von gesetzlicher und privater Versicherung fest.

Klimaschutz, Energie und Mobilität

Klimaschutz ist neben Digitalisierung die Top-Priorität in der kommenden Legislaturperiode. Unabhängig davon, ob SPD oder CDU an der Spitze stehen werden, die neue Regierung wird eine zielgerichtete Energiesteuerreform angehen, den CO2-Preis zum Leitinstrument machen und dabei einen fairen Sozialausgleich anstreben. Der wird insbesondere durch die Abschaffung der EEG-Umlage erfolgen.

Den Fokus im Ausbau der erneuerbaren Energien haben sowohl Union und SPD als auch die Grünen auf Solarenergie gelegt. Das „Sonnen-Paket“ der CDU beinhaltet allerdings keine bundesweite „Solarpflicht“ wie bei den Grünen, vielmehr stecken darin eine Onlineplattform für schnelle Genehmigungen sowie zinslose Darlehen für das eigene Solardach. Die Sozialdemokraten streben hingegen feste Ausbauziele von 1,5 Millionen Solardächer in den nächsten vier Jahren an. Für das Baugewerbe war bereits vor der Wahl klar: Die klimapolitischen Bemühungen der Parteien werden das Geschäft weiter ankurbeln. Starker Bürokratieabbau bei PV-Genehmigungen sowie Steuererleichterungen für klimafreundliche Innovationen ist insbesondere in einer Jamaika-Koalition zu erwarten.

Im Verkehrssektor bleibt es spannend. Hier sind die Vorstellungen wesentlich heterogener. Ein Tempolimit auf deutschen Straßen könnte in einer Ampel-Koalition Realität werden. In einer CDU-geführten Koalition erhält das klassische Verbrennerauto vermutlich noch eine Schonfrist. CDU/CSU und die FDP möchten alle Antriebsarten erhalten und setzen auch auf synthetische Kraftstoffe (E-Fuels). Hier könnte es in den Sondierungsgesprächen mit den Grünen zu erheblichen Reibereien kommen. Betreiber und Dienstleister von Ladesäuleninfrastruktur können sich allerdings freuen. Denn zwischen der Union, SPD und den Grünen herrscht Einigkeit was ihren weiteren Ausbau anbelangt. Die Förderung der E-Mobilität durch Subventionen wird von allen drei Parteien angestrebt. Allein die FDP steht Kaufprämien von E-Autos kritisch gegenüber. Sie dürfte sich jedoch in den Koalitionsverhandlungen der Mehrheit fügen.

Wasserstoff spielt in allen Regierungsszenarien eine Rolle. Für Energieunternehmen kommt es hier vor allem auf die Herstellungsoffenheit der Parteien an. Während SPD und Grüne rein „grünen“ Wasserstoff für Industrie, Flugzeuge und Schifffahrt fördern möchten, lassen die Union und FDP CO2 bei der Wasserstoffproduktion zu – zumindest für den Übergang. Dem perspektivischen Einsatz im Schwerlastverkehr stehen nur die Grünen kritisch gegenüber.

Planen und Bauen

Folgende Punkte sind in diesem Feld in jedem Fall klar: Das derzeit zuständige Ministerium (Inneres, Heimat und Bau) wird sich stark verändern oder ggf. sogar ganz neu strukturiert. Der zuständige Minister Horst Seehofer (CSU) scheidet aus der Bundesregierung und der Politik insgesamt aus. Der Bereich (sozialer) Wohnungsbau wird die kommenden Regierungen über die 20. Legislaturperiode hinaus insbesondere in den deutschen Ballungsräumen weiter stark beschäftigen. Die diskutierten und vorgegebenen Klimaziele im Baubereich werden ebenfalls eine große Rolle spielen. Der Gebäudesektor zeichnet für ca. 30 Prozent der gesamten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich.

Wohnraum/Mieten
Beide diskutierten Regierungsmodelle müssen mehr Wohnraum schaffen, also keine Unterschiede. Eine Ampel dürfte zumindest das von der SPD favorisierte zeitlich befristete Mietmoratorium durchsetzen. Das wäre bei Jamaika schwieriger. Eine Enteignung, wie jetzt mehrheitlich im Berliner Volksentscheid gefordert, ist bundespolitisch endgültig vom Tisch – so oder so. Das Thema wird sich insgesamt auch auf die Bodenpolitik auswirken. Es gibt bereits das Baulandmobilisierungsgesetz (würde Jamaika weiter ausgestalten), das eine Ampel sicherlich stärker in Richtung Gemeinnützigkeit und Erbbaurecht führen wird. Ein großer Streitpunkt im Gesetz bisher: Das sogenannte Umwandlungsverbot, das derzeit auch Schutz vor steigenden Mieten bieten soll. Das könnte unter Jamaika aufgeweicht und in einer Ampel verschärft werden.

Energetisches Sanieren
Keine Bundesregierung kommt um die Frage herum, wie mehr Bestandsimmobilien energetisch ertüchtigt werden können. Die Bau- und Sanierungsbranche kann also auch weiterhin auf Auslastung setzen. Der Weg dorthin kann über Förderprogramme, also direkte Steuermittel (Ampel) oder über Investitionsanreize, also steuerliche Entlastung (Jamaika) führen.

Digitales Planen + Bauen
Das Querschnittsthema Digitalisierung ist ein politisches und gesellschaftliches Kernthema. Im Planungssektor soll es aus Sicht aller politischen Kräfte zur Effizienzsteigerung, Nachhaltigkeit und Kosten- sowie Termintreue weiter vorangetrieben werden. Das prozessuale Kernelement dabei ist BIM (Building Information Modeling). Eine Ampel-Regierung dürfte den Schwerpunkt vielleicht etwas in Richtung digitale Verwaltung lenken. Also den Fokus auf das öffentliche Bauwesen, digitale Antragsverfahren usw. legen. Jamaika hätte hier wohl eher die Technologietreiber von privatwirtschaftlicher Seite im Blick.

Zersplitterung der Zuständigkeiten, Ministerium
Es ist oben schon angeklungen, dass der Baubereich ein politisches Schattendasein führt. Aktuell in einem Ressort, wo es zusammenfällt mit innerer Sicherheit und Heimatbelangen. In der ersten rot-grünen Bundesregierung 1998 wurde das sog. Bundesbauministerium in der klassischen Form aufgelöst. Da keine der im Bundestag vertretenen Parteien diesen Aspekt in ihrem Wahlprogramm hat, ist es bei beiden unwahrscheinlich, dass die Branche einen einheitlichen Ansprechpartner hat. Aktuell liegt die Honorarordnung der Planer im Wirtschaftsministerium, Verkehrsinfrastrukturplanung obliegt dem Verkehrsministerium, die Raumordnungsplanung ist im Innenministerium angesiedelt und auch das Umweltministerium ist in vielen Planungsrechtsfragen involviert. Von 16 Landesbauordnungen ganz zu schweigen. Gerade für den Immobilien- und Bausektor wären zentrale Entscheidungswege extrem hilfreich. Da in einer Ampel politische Akteure aktiv wären, die diese Themen viele Jahren weniger betreut haben, könnten hier die Chancen auf Bündelung größer sein als bei Jamaika.

Verbraucherschutz, Handel und Landwirtschaft

Das Thema Verbraucherschutz dürfte keine unüberwindbaren Hürden aufwerfen. Alle Parteien sind sich grundsätzlich darüber einig, dass Verbraucher:innen mehr Informationen insb. zu digitalen Angeboten benötigen. Auch sind alle in diesem Sinne relevanten Parteien (CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP) sich im weitesten Sinne darüber einig, dass die Durchsetzung von Forderungen (bspw. Fluggastrechte/EC261) und Kündigungen schneller und für Verbraucher:innen leichter sein muss. Ob, wie es die FDP fordert, hierzu explizit auf „legal tech“ und „smart contracts“ gesetzt wird, wird man sehen müssen. Den größten Zwist dürfte beim Verbraucherschutz noch die philosophische Frage erzeugen, wie „proaktiv“ und „vorsorglich“ „der Verbraucher“ vor Unternehmen geschützt werden muss. SPD und Grüne sprechen sich ausdrücklich für einen präventiven bzw. vorsorglichen Verbraucherschutz aus. Aber auch dies dürfte für die FDP – als auch für die Union im Falle von Jamaika – kein „rotes Tuch“ sein.

In jedem Fall werden sich Geschäfte des Einzelhandels über eine zumindest verbale Unterstützung freuen dürfen. Alle Parteien haben sich für eine Förderung der Innenstädte sowie des lokalen Einzelhandels ausgesprochen.

Der konventionellen Landwirtschaft dürfte die voraussichtliche grüne Regierungsbeteiligung ein Dorn im Auge sein. Große Hoffnungen auf ein bremsen durch die FDP sollte man sich nicht machen. Mitnichten stehen die Liberalen einer Tierwohl- bzw. Öko-Kennzeichnung abgeneigt gegenüber, hier wird es nur um die Frage gehen, ob solche Labels verpflichtend eingeführt werden. Der Weg über „Vertragsnaturschutz“ könnte ein für alle Seiten machbarer Weg sein, die Landwirtschaft auf einen Pfad zu mehr Naturschutz und mehr ökologischer Landwirtschaft einzustellen. Auch Carbon Farming könnte hier eine Rolle spielen. Die gestrigen Aussagen von Annalena Baerbock in der „Berliner Runde“, dass es auf die Ziele und nicht zwingend die Wege dahin ankomme, lässt aufhorchen.

Interessant wird die Diskussion um „grüne Gentechnik“ sein. Hier sind sich Grüne und FDP einig: neue gentechnische Verfahren müssen ermöglicht werden (nicht zuletzt als Reaktion auf den Klimawandel). Die Union sieht dies ähnlich; die SPD hingegen lehnt Gentechnik – auch der neuen Methoden – grundsätzlich ab. Zwar lehnen die Grünen „Patente auf Lebewesen“ ab, doch dürfte dies auf Saatgut wohl durch die Beteiligung der FDP keine (kurzfristige?) Auswirkung haben.

Dieser Beitrag ist eine Team-Leistung von elfnullelf. Mitgewirkt haben: Fabian Haun, Florian von Gierke, Helena Ballreich, Johanna Weirauch, Marian Blok und Udo Sonnenberg

Geschäftsführender Gesellschafter

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