Bauernverband gegen den ländlichen Raum…?!

Das Thema „Ländlicher Raum“ gewinnt nicht nur auf der bundespolitischen Ebene immer mehr an Bedeutung. Inzwischen hat auch der Stiftungssektor erkannt, welche großen gesellschaftlichen Herausforderungen Globalisierung und demographischer Wandel für die dünn besiedelten Regionen unseres Landes mit sich bringen. So hat nicht nur die Stiftung Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung mehrfach die Gründung einer „Stiftung Ländlicher Raum“ gefordert. Auch der Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen hat sich auf der Abschlussveranstaltung der „Grünen Woche“ zu einem neuen „Gemeinschaftsinitiative Zivilengagement im ländlichen Raum“ bekannt.
Umso mehr verwundert es, dass der Deutschen Stiftung Kulturlandschaft, die 2006 vom Deutschen Bauernverband ausdrücklich als „Stiftung für den ländlichen Raum“ mit einem ambitionierten 10-Punkte-Programm ins Leben gerufen wurde, künftig offenbar nur noch auf Sparflamme betrieben wird. Wie man aus unterrichteten Quellen erfährt, wird zum 30. Juni die hauptamtliche Geschäftsstelle in Berlin geschlossen. Und auch die bisherige Vorstandsvorsitzende, Stephanie Egerland-Rau, Kanzlerin der Hafencity-Universität Hamburg, ist seit kurzem nicht mehr mit an Bord.
In den letzten Jahren ist die kleine, aber agile Stiftung mit vielen innovativen Initiativen und einer guten Kommunikation aufgefallen, welche auch die Nominierung für den Branchenpreis „Kompass“ einbrachte. Zu ihren Themen gehörte die „ländliche Baukultur“ genauso wie die „Energielandschaften“. Ihr größter Erfolg war das Projekt „Kunst fürs Dorf – Dörfer für Kunst“, bei dem Dorfgemeinschaften durch die sechsmonatige Zusammenarbeit mit einem Künstler wiederbelebt werden. 2013 wurde darüber eine sechsteilige Fernsehserie auf ARTE ausgestrahlt.
Mehr Erfolg kann man sich eigentlich kaum wünschen. Nun ist der Stiftung aufgrund der angespannten Zinssituation das Geld ausgegangen, wie man hört. Eine operative Geschäftsführung ist nicht mehr finanzierbar. Da fragt man sich schon, warum der Stifter erst eine solch weitblickende Initiative ins Leben ruft, um ihr dann im entscheidenden Moment die Unterstützung zu versagen. Man könnte auf den Gedanken verfallen, dass die Stiftung sich etwas zu weit von der landwirtschaftlichen Klientel emanzipiert hat. Doch dies war ja gerade das Besondere: Dass eine vom Bauernverband gegründete Stiftung sich den gesellschaftlich relevanten Fragen des ländlichen Raumes stellt, ohne dabei eigentlich nur das Image des Berufsstands im Blick zu haben. Gerade dafür wurde ihr von außen Anerkennung zuteil.
Wie die Homepage der Stiftung verkündet, haben zwei ehemalige Bauernverbandsfunktionäre im Vorstand die Führung übernommen. Es bleibt abzuwarten, was von dieser Stiftung in Zukunft noch erwartet werden kann.

Geboren 1971 in Braunschweig und aufgewachsen im Landkreis Peine – dort Abitur 1993 (keine zwei „Ehrenrunden“, sondern zwischendurch eine Ausbildung bei der Stadt Braunschweig) – zog es mich zum Studium nach Eichstätt und Washington D.C. Nach Beendigung des Studiums der Politikwissenschaften und Geschichte 1998, begann ich meine berufliche Laufbahn als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag. Dort beschäftigte ich mich u.a. mit der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Danach folgte eine mehrjährige Station als Projektmanager Internationales und politische Kontakte bei Partner für Berlin, Gesellschaft für Hauptstadt-Marketing mbH (heute Berlin Partner). Nach mehreren kurzen und längeren Stationen in der politischen Beratung kam ich 2008 als Partner zu elfnullelf. Von August 2013 bis April 2018 habe ich die Beratungsgesellschaft für Strategie und politische Kommunikation mbH als alleiniger Geschäftsführender Gesellschafter geführt. Seit Mai 2018 ist Fabian Haun gleichberechtigter Partner.
Süddeutsche Zeitung, Innenpolitik, 25.06.2014
Ein ADAC für Landwirte
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Von Daniela Kuhr, Marlene Weiss, Marc Widmann
Sepp Brunnbauer ist seit acht Jahren Landwirt, und seit acht Jahren hadert er. Drinbleiben, und eine Politik unterstützen, die er zu großen Teilen ablehnt? Oder austreten, und allein dastehen? Er ist dann doch dringeblieben im Bauernverband, man braucht wohl auch als niederbayerischer Biobauer etwas Pragmatismus. „Der Bauernverband ist wie der ADAC“, sagt Brunnbauer, der in Passau auch Chef des Ökoverbands Biokreis ist. „Die Politik finde ich oft unmöglich. Aber wenn ich auf der Autobahn liegen bleibe, bin ich froh, dass ich dabei bin.“
An diesem Mittwoch beginnt im rheinland-pfälzischen Bad Dürkheim der Deutsche Bauerntag, bei dem der Verband sich mal wieder als einzig wahre Stimme des deutschen Landwirts präsentiert – das ist schließlich sein wichtigstes Pfund in der mitunter knallharten Lobbyarbeit. Doch kann ein Verband überhaupt die Interessen von knapp 300 000 Bauern vertreten, vom Allgäu bis Ostfriesland?
Sepp Brunnbauers Interessen vertritt er jedenfalls nicht, und dennoch ist der Biobauer ein Mitglied, wie etwa 90 Prozent der Landwirte in Deutschland. Er kann einfach schlecht auf die Dienstleistungen verzichten, die der Verband bietet: die kompetente Beratung bei Förderanträgen und Fragen der Sozialversicherung, die unbürokratische Organisation der Hochwasserhilfe, das Landwirtschaftliche Wochenblatt. So dürfte es manchem Bauer gehen.
Beim großen Milchstreit fühlten sich viele Bauern vom Verband in Stich gelassen
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Ist es da nicht eine gewisse Hybris, wenn der Bauernverband sich stets als die Stimme aller deutschen Bauern geriert? Wenn er auf Bauerntagen den anwesenden Politikern aus Berlin oder Brüssel Zensuren ausstellt und ihnen regelmäßig in beachtlicher Lautstärke die Leviten liest?
Die Frage geht an Bernhard Krüsken, den Generalsekretär. Natürlich gebe es innerhalb dieses riesigen Verbands unterschiedliche Interessen und Positionen, sagt er. „Die Reform der EU-Agrarpolitik haben Betriebe aus Baden-Württemberg zum Beispiel anders beurteilt als große Betriebe aus Mecklenburg-Vorpommern.“ Auch bewegten Landwirte aus den intensiven Tierhaltungsregionen in Niedersachsen ganz andere Themen als Wein- oder Gemüsebauern in Rheinland-Pfalz. Der Bauernverband müsse aus vielen Sichtweisen eine gemeinsame Position entwickeln.
Manchmal gelingt ihm das besser, manchmal gar nicht. Beim großen Milchstreit vor wenigen Jahren zum Beispiel, als Tausende Bauern wegen des damals ruinösen Milchpreises streikten und die Milch wutentbrannt auf die Felder kippten, hielt sich der Bauernverband zurück. Die Folge war eine Welle von Protestaustritten – viele fühlten sich im Stich gelassen und warfen ihrem Verband vor, eher die Interessen der Lebensmittelindustrie zu vertreten als die seiner Mitglieder.
Hans Foldenauer aus Irsee im Allgäu ist Milchbauer, 95 Tiere stehen auf seinem Hof. Er verließ schon Ende der neunziger Jahre den Bauernverband. Er organisierte den Streik mit, heute ist er Sprecher eines kleinen Verbands, den der Bauernverband aber als schmerzenden Stachel in seinem Fleisch empfindet: des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) mit 20 000 Mitgliedern. Es könnten mehr sein, findet Foldenauer, immer mal wieder kommt ein Landwirt zu ihm und „schimpft wie ein Rohrspatz“ über den selbstherrlichen Bauernverband. „Warum bist du dann noch Mitglied?“, fragt Foldenauer dann. Die Antwort sei oft gleich: Weil ich dort Hilfe bekomme bei der Buchhaltung und der Steuererklärung.
„Der Bauernverband bietet ein sehr geschicktes Konstrukt an Dienstleistungen“, sagt Foldenauer. Bietet Rat, wie man Pachtverträge gestaltet. Vermittelt günstigen Strom. Und vieles mehr. Der Service ist so attraktiv, dass sogar Mitglieder der sonst so kritischen Milchbauern-Vereinigung zu Foldenauer kommen und ihn fragen, ob der BDM nicht auch ein bisschen mehr in Richtung Service gehen wolle. Doch Foldenauer und seine Mitstreiter wollen nicht, so lukrativ es auch wäre. „Bei jedem Versicherungsabschluss würde sicher etwas für uns abfallen“, sagt er, „aber das bedeutet Abhängigkeit. Wir wollen nicht das Risiko eines Interessenkonflikts eingehen.“
Den ADAC haben solche Bedenken weniger geplagt. Und den Deutschen Bauernverband? Dort hält man den Vergleich mit der Autofahrer-Lobby für unfair. Denn anders als beim ADAC, wo die Mitglieder in der Regel nicht nach ihrer Meinung gefragt werden, findet beim Bauernverband ein permanenter Austausch zwischen Mitgliedern und Funktionären statt.
Die Meinungsbildung laufe auf „sehr basisdemokratische Weise“ ab, sagt Generalsekretär Krüsken. Das fange schon bei den 320 Kreisverbänden an. „Jeder kann sich dort einbringen und mitdiskutieren.“ Die Oberen im Präsidium könnten schon deshalb nicht nach Gusto entscheiden, weil sie ihre Entscheidungen daheim begründen müssen. „Würden sie in den Gremien Meinungen vertreten, hinter denen die Landwirte nicht stehen, würden sie ganz schnell großen Ärger zu spüren bekommen.“ Bauern seien bekannt dafür, „dass sie sich melden, wenn ihnen etwas nicht passt“.
Ist der Verband ein Diener der Agrarindustrie? Da wird der Generalsekretär ärgerlich
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Zu manchen Fragen schaffe es der Verband nicht, einen einheitlichen Standpunkt zu finden. „Da sind wir folglich ziemlich leise.“ Krüsken nennt die grüne Gentechnik als Beispiel. Einige Landwirte befürworten sie, andere lehnen sie ab. „Wir haben uns deshalb darauf zurückgezogen, dass wir den Anbau angesichts der Haftungsrisiken nicht empfehlen können.“ Da könnten sich die meisten anschließen. Dass der Bauernverband in Berlin als mächtig gilt, hat er nicht nur seinem Einfluss auf das Landwirtschaftsministerium zu verdanken. Auch im Bundestag sitzen Vertreter des Verbands. Meist sind es CDU-Abgeordnete wie Johannes Röring, Bauernpräsident in Westfalen-Lippe, oder Franz-Josef Holzenkamp, ehemaliger Vize-Präsident des Niedersächsischen Landvolks.
Fragt man Krüsken, ob sein Verband ein Diener der Agrarindustrie ist, wie Kritiker behaupten, wird er ärgerlich. „Unsere Mitglieder haben im Schnitt gerade mal einen Betrieb von 58 Hektar“, sagt er dann. Doch ist die Landwirtschaft nicht nur eine Frage der Betriebsgröße, sondern vor allem der Ausrichtung: bio oder konventionell? Weide oder Stall? Umsichtig oder kompromisslos profitmaximierend? Bei dem, was der Bauernverband zuletzt forderte, fällt eine Schlagseite auf: Er ist gegen das EU-weite Verbot bestimmter Pflanzenschutz-Gifte, die wahrscheinlich Bienen schaden („entbehrt einer wissenschaftlichen Grundlage“). Gegen strengere Vorgaben beim Düngen („könnten das Ende des Brotweizenanbaus in Deutschland bedeuten“). Und für den EU-Kompromiss, der Bauern deutlich weniger Umweltschutz abverlangt als geplant („ein Erfolg des Berufsstandes“).
Für Biobauern wie Sepp Brunnbauer sind die meisten Stellungnahmen des Verbands ärgerlich, wie er sagt. Mitglied bleibt er trotzdem. Wie im ADAC.
Daniela Kuhr
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Daniela Kuhr hat nach einer Banklehre in Würzburg Jura studiert. Nach dem Zweiten Staatsexamen folgte eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Von 2000 bis 2007 arbeitete sie in der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung. Schwerpunkte waren Anlegerschutz, Wirtschaftsrecht, Wirtschaftskriminalität und Altersvorsorge. 2008 wechselte sie in die Parlamentsredaktion nach Berlin, von wo aus sie unter anderem über die Bahn, Verbraucherschutz und Wirtschaftsrecht berichtet.
Marlene Weiss
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Dr. Marlene Weiß, geboren 1980 in Berlin. Nach dem Studium in der Schweiz und in Frankreich Promotion in theoretischer Physik am Forschungszentrum Cern bei Genf. Dank einem Stipendium für Wissenschaftsjournalismus folgten erste Praktika bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Zeit; dann freie Arbeit für unter anderem Deutschlandradio Kultur und die Berliner Zeitung. Bei der Süddeutschen Zeitung seit März 2010, erst als Volontärin, jetzt in der Innenpolitik für Umweltthemen zuständig. Schreibt daneben gelegentlich über Japan, damit das dort einst im Auslandsschuljahr gelernte Japanisch nicht ganz brachliegt.
Marc Widmann
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Marc Widmann, 1979 in Stuttgart geboren, studierte Journalistik und Politik in München und Paris, nebenbei absolvierte er die Deutsche Journalistenschule. Er ist Korrespondent der SZ für Norddeutschland.